Struuuuunz! - Roland Reischl Verlag

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Struuuuunz!

Autoren > Fundgrube > Klaus Hansen
Von Klaus Hansen in der Fundgrube
10. März 2018 – ein Zeitzeichen zum Tage

Heute vor 20 Jahren, am 10. März 1998, lief der Fußball-Lehrer Giovanni Trapattoni während einer Pressekonferenz zu ungeahnter Form auf. Inzwischen ist die so genannte „Münchener Brandrede“ sogar zum Gegenstand des Zentralabiturs im Fach Deutsch geworden. Wenige Stichworte mögen zur Erinnerung genügen:

Miche dä Uli geholt aus Bella Itali
für schaffen mit Munchen die Quali.
Aber meine Spieler schwach,
schwach wie eine Flasche leer.
Habe fertig.
Danke sehr.

Zwischen schonungsloser Diagnose und unnachahmlicher Schlussformel steht ein hier nicht wiedergegebener Schmerzlaut: „Struuuuunz!“, „Was erlauben Struuuuunz?“, und das wiederholt und in die Länge gezogen: „Struuuuunz!“ Der Ausdruck Struuuuunz wurde binnen kurzem in die deutsche Umgangssprache eingemeindet und zum Inbegriff des Inakzeptablen schlechthin. Dass der Italiener Trapattoni sich in der gedehnten Intonation des mehrfach wiederholten Spielernamens (denn Nationalspieler Thomas Strunz ist ja gemeint) geradezu ergeht, es hat den Eindruck, als nehme er ein phonetisches Bad in dem Wort, verrät eine gewisse Neigung zur Sauerei. Denn „stronzo“ heißt auf Italienisch „Stück Scheiße, Arschloch“; auch im Deutschen sagt man „strunzen“ für „pissen“. Der feine Herr im feinen Tuch, als der sich Trapattoni gerne gab, hatte also auch eine sympathisch säuische Seite.

Angesichts des ungewollten Dadaismus seiner Rede fragte man sich hinterher, ob der Trainer nicht besonders sprachbegabt oder gar eine lernfaule Socke sei, ein „typischer Itaker“ eben, wie der deutsche Stammtisch gerne frotzelt. Weder das eine noch das andere trifft zu. Trapattoni hatte schon immer eine Vorliebe für die Deutschen und das Deutsche. Als Spieler in Mailand trug er den Beinamen „Il Tedesco“ (der Deutsche). Und in München sah man ihn nie ohne sein Piccolo Glossario Italiano-Tedesco. Nein, Trapattoni war willig und fleißig, aber seine Umgebung machte alle seine Bemühungen, gutes Deutsch zu sprechen, brutal zunichte. Man höre sich nur einmal an, wie die Spieler auf die Rede ihres Vorgesetzten reagierten. Lothar Matthäus mokierte sich in seiner eigenen Privatsprache: „Für dem sein Deutsch tät ich mich schäme.“ Und der lange Didi Hamann, der mit seiner fehlenden Körperspannung immer an eine Salzstange erinnert, die ins Wasser gefallen ist, bestritt die Auffassung des Trainers, die Mannschaft sei zu schwach fürs internationale Geschäft, mit den Worten: „Mir hamm a guat genugene Truppe!“ Das sind nur zwei Stimmen von 20. Die anderen waren auch nicht besser. Kann man als ausländischer Trainer gutes Deutsch lernen, wenn man täglich von Spielern umgeben ist, die ihre Muttersprache derart vergewaltigen? Wohl kaum. Also dürfen wir annehmen, dass Trapattonis Brandreden-Deutsch ein getreues Spiegelbild der Sprache ist, wie sie damals beim FC Bayern München gesprochen wurde.

Die deutsche Überheblichkeit machte Trapattoni schnell zum Gespött. Aber der Mann ist zu bemitleiden, nicht zu verlachen! Schon als Kind wurde ihm der Erwerb der deutschen Sprache mehr als schwer gemacht. Er musste in Mailand neben der Kirche Santa Maria delle Grade aufwachsen, wo das weltberühmte „Abendmahl“-Fresco von Leonardo da Vinci noch bis in die achtziger Jahre für deutsche Touristen „Letzter Abendessenanstrich“ hieß.

Gerade als Fremde in einem neuen Sprachraum passen wir uns der Umgebung an; es bleibt uns gar nichts anderes übrig. Das Beispiel von Mohamadou zeigt, wie weit das gehen kann. Mohamadou ist ein perfekt hochdeutsch sprechender Schwarzafrikaner aus Nigeria. Er studiert Medizin in Münster. „Ich möchte gern ein halbes Paderborner Landbrot, und zwar geschnitten, bitte.“ Das hatte er sagen wollen, bevor er die Bäckerei in Wolbeck bei Münster betrat. Als die Bäckersfrau mit dem flotten T-Shirt-Spruch „Wir backen’s an, Ährensache!“ den schwarzen Mann in der Tür stehen sieht, fragt sie wie automatisch: „Was du wollen, Bläcky?“ Mit Mohamadous Sprachgewandtheit war es auf der Stelle vorbei. Er kann nicht anders als „Ich wollen Brot“ zu stottern.

Diesem zwischenmenschlichen Zwang zur reflexhaften Reaktion ist damals auch Uli Hoeneß, der Allgewaltige, erlegen. Denn unmittelbar nach Trapattonis Brandrede kommentierte er im kleinen Kreis:
  
Isse gekomme für viele Millioni,
Maestro G. Trapattoni.
Nur kleine Erfolg, aber top in Klamotti!
Besser gewesen zu holen
brutalen Schleifer aus Polen
für ein Händchen voll Zloty.
 
Nun, Sprache ist dazu da, um sich zu verständigen. Und in München hatte man verstanden. Die Zukunft des FC Bayern als europäischer Spitzenmannschaft stand auf dem Spiel. Bis Kaiser Franz alles Zukunftsgequatsche zum „Schnee von morgen“ erklärte und mit wenigen, Trapattoni in nichts nachstehenden Worten die Debatte beendete: „Schau’ma ma, dann seh’ma scho!“
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