Sicherheit - Roland Reischl Verlag

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Sicherheit

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Nele guckt zerknittert: „Ich kann mich nicht einloggen!“ Ja, ohne Passwort wird das schwierig. „Warum klickst du nicht auf: Passwort vergessen?“ frage ich.

Nele will eine Fahrkarte kaufen. Aber am Automaten ist ihr das zu kompliziert – sowas macht man heutzutage online. Geht doch viel schneller.  

„Hab ich doch“, quengelt sie, „aber da passiert nix.“

„Stimmt denn die Mail-Adresse noch?“

Wir gucken nach. Schwer zu sagen: Die Adresse wird aus Datenschutzgründen nicht angezeigt. „Hm, 7 Sternchen und ein Ypsilon am Ende – hattest du früher mal so eine Adresse?“

„Quatsch, ich hab doch kein Ypsilon im Namen.“

Um die hinterlegte Adresse zu aktualisieren, muss man sich einloggen. Bitte geben Sie Ihr Passwort ein. Nele flucht. „Alles halb so schlimm“, sage ich. Klicke beherzt in der Gegend herum, fordere die Sicherheitsfragen an. „Hier, die musst du nur beantworten, dann läuft der Laden wieder. Erste Frage: Wie lautet der zweite Vorname Ihres Kinderarztes?“

Nele steht auf dem Schlauch – „Dr., äh, verflixt, wie hieß der Kerl? Edgar, nee, Bruno. Ach, was weiß ich! Woher kennt die Bahn meinen Kinderarzt?“

„Du hast die Frage selbst eingegeben.“

„Ich? Nie!“

„Natürlich. Egal, nehmen wir die Alternativ-Frage: Wie heißt Ihr erster Arbeitsgeber?“

„Achje, war das die Anwaltspraxis? Warte, ich hab doch auch im Supermarkt gejobbt. Zählt das?“

„Phhh ...“

„Halt! Das Eiscafé. Das war’s! Aber wie hieß der Laden – Venezia? Florida? Da ist jetzt eine Dönerbude.“

Wir rufen die Auskunft an. Aber der Dönermann weiß nicht, wie das Eiscafé hieß. „War hier nicht früher ein Friseurladen?“, fragt er. „Ach, keine Ahnung, wir sind jetzt schon zwölf Jahre hier!“

Nur die Ruhe bewahren! „Meine Mutter müsste das wissen“, fällt Nele ein. „Alles wird gut, Mama weiß Bescheid!“ Leider ist Ihre Mutter gerade beim Yoga. Neles Mama wird per SMS über unseren Anruf benachrichtigt.

Mittlerweile dämmert dem Bahn-Server, dass bei uns nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Aus Sicherheitsgründen werden wir zur Eingabe eines vierstelligen Zifferncodes aufgefordert.

„Was für ein Code?“

„Wurde an die von Ihnen hinterlegte Telefonnummer gesendet“, lese ich vor.

Aber es klingelt nicht. Nele ist kürzlich umgezogen. „Haben die vielleicht noch deine alte WG-Nummer?“

Sie nickt. „Ich ruf mal Biene an. In der WG geht nie einer ans Telefon. Aber Biene wohnt da noch. Die kann ja rangehen und mir den Code dann sagen.“ Sie wählt Bienes Mobilnummer. Leider hat Biene ihr Handy mit ihrem Freund getauscht. Der steht gerade in Holland am Meer. Ich höre die tosende Brandung. Er versteht nicht so ganz, worum es geht. Aber die Sonne scheint, das ist die Hauptsache.

Plötzlich kommt mir die rettende Idee: „Guck doch in deinen Impfpass!“

Nele guckt mich an, als ob auch in ihrem Kopf die Brandung tost. Was durchaus stimmen könnte. „Der zweite Vorname deines Kinderarztes: Guck in den Stempel in deinem Impfpass. Dann wissen wir’s!“

Nele grinst. Zum Glück ist sie perfekt organisiert. Normalerweise. Jedenfalls weiß sie direkt, wo ihr Impfpass liegt. Ein Griff und – „nee, nicht dein Reisepass. Dein Impfpass! So ein gelbes Ding.“

Während sie auf dem Dachboden rumort, rufe ich nochmal den Dönerladen an und bestelle Pizza.

Zwischendurch ruft ihre Mutter zurück. „Es geht um ihren Impfpass“, erkläre ich. Erfahre, dass Nele gegen Pocken und Diphterie geimpft ist. Ihre Mutter klingt besorgt: „Geht’s Nele nicht gut?“

Ich versichere, dass Nele in blendender Verfassung ist und dass sie bloß gerade nicht ans Telefon kommen kann, weil sie auf dem Dach herumturnt. Neles Mutter besteht darauf, auf dem Heimweg nach dem Rechten zu sehen.

Die Pizza kommt, ich lasse Nele zwei Stück übrig. Während ich das Tiramisu löffele, ruft Biene an: Ihr Freund hatte da so einen komischen Anruf – ob bei Nele alles OK ist? „Nele geht’s gut. Komm vorbei, überzeug dich selbst.“

Satt und zufrieden lehne ich mich zurück. Da Nele noch immer nicht wieder aufgetaucht ist, schleiche ich zum Bahnhof, kaufe am Schalter eine Fahrkarte, schlendere zurück zu Nele. Zerzaust, das Haar voller Spinnweben, hält sie mir triumphierend ihren verknickten Impfpass unter die Nase. „Ha! Was sagst du nun?“ Wir tauschen: Karte gegen Impfpass. „Da steht leider nur der erste Vorname im Stempel“, sagt sie.

„Aber du hast ja jetzt die Fahrkarte.“

„Es geht ums Prinzip! Weißt du was? Ich rufe einfach in der Praxis an und frage nach dem zweiten Vornamen.“

„Du bist fast 40! Meinst du, dein Kinderarzt praktiziert noch?“

„Wenn er schon tot ist, könnten wir auf den Grabstein schauen.“

„Ruf einfach die Bahn an. Die kennen den Mann!“

Kurz erhellt sich ihr Blick, dann merkt sie, dass ich sie auf den Arm nehme. Ich verabschiede mich. „Da ist noch Pizza im Karton. Übrigens solltest du dich dringend entstauben, gleich kommt Besuch.“


© René Klammer, November 2019.
 
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